Stolz und Vorurteil

Nach dem freundlichen „Guten Tag“ folgte die Bitte, die Behälter mit Grünschnitt sehen zu dürfen. Rasenschnitt wird zum Kompostieren anders behandelt als Baumstämme. Logisch. Mit eindeutigen Armbewegungen wies der Mitarbeiter des Recyclinghofs auf die entsprechenden Bereiche und wünschte noch einen schönen Tag. Seine Muttersprache war eindeutig russisch. Beim nächsten Besuch schien er das Auto oder mich zu erkennen, beschränkte sich auf einen Gruß und die Frage, was ich denn abzugeben hätte. Beim dritten Besuch grüßte er nur noch und half mir, die schweren Behälter aus dem Auto zu hieven, obwohl er das nicht durfte. Wir plauderten, fragten einander nach dem Befinden der Familie usw. Beim vierten Besuch winkte er zur Begrüßung, dass man hätte Sorge haben müssen, er kugelt sich die Gelenke aus. Wieder höfliche Konversation, und ich fragte nach seinem Namen.

Ich hielt es für ein Zeichen des Respekts.

Den erfährt er als Müllmann gewiss nicht häufig. Die Reaktion: Erst betretenes Schweigen, den Blick beschämt zu Boden gerichtet, die Stimme ein Knurren: „Ich heiße Wladimir. Ich schäme mich sehr, dass ich wie der … heiße.“ Die von ihm gewählte Bezeichnung kann ich an dieser Stelle nicht wiedergeben. In der Folge habe ich ihn nie mit diesem ihm verhassten Namen angesprochen.

Ich hielt es für ein Zeichen des Respekts.

Übrigens, diese Begegnung fand nicht in den vergangenen Tagen, sondern im Sommer 2015 statt.

Bitte bleibt gesund und versteht die Botschaft: Nicht alle Äpfel am Baum sind wurmstichig!